a queer tour guide

Die Ausstellung beginnt mit den Fotografien und Texten der "maid of all work" Hannah Cullwick, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in London entstanden. Ausgehend von diesem historischen Material sind die beteiligten Künstler_innen eingeladen, sich mit dem Zusammenhang von Sexualität und Arbeit und der Frage nach der machtvollen Funktion der Sexualität zu beschäftigen.

 

beteiligte

hannah cullwick und:
laura aguilar, oreet ashery, pauline boudry, alexandra croitoru, ines doujak,
ghazel,
henrik olesen, kai kaljo, deborah kelly/tina fiveash, stefan hayn,
klub zwei (simone bader, jo schmeiser),
ins a. kromminga, zoe leonard, marth,
karin michalski/sabina baumann, tracey moffatt, christian philipp müller,
adrian piper, carole roussopoulos/delphine seyrig, runa islam,
del lagrace volcano,
gillian wearing.

 

Hannah Cullwick, 25 Fotografien,
Ausschnitte aus ihren Tagebüchern und Briefen, 1855 - 1902

Hannah Cullwick putzte nicht nur von früh morgens bis spät abends in verschiedenen Haushalten, sondern sie produzierte auch eine Reihe erstaunlicher inszenierter Fotografien, umfangreiche Tagebücher und Briefe. Diese Materialien inszenieren ihre Stärke, ihre Muskeln und ihre schmutzigen großen Hände – Verkörperungen ihres Geschlechts, die offensichtlich direkt mit ihren Arbeitspraxen verbunden waren und auf die sie sehr stolz war.

Hannah Cullwicks Porträts und Selbstporträts, die sie nicht nur als Hausangestellte, sondern auch in "Class Drag" oder "Ethnic Drag" zeigen, waren Teil eines sadomasochistischen Verhältnisses, in das sie mit Arthur Munby, einem Mann der bürgerlichen Klasse, involviert war. Interessanterweise waren es Elemente ihrer harten Arbeit im Haushalt, die das Material für die gemeinsamen SM-Szenen abgaben. Die Arbeit, die Cullwick als Hausangestellte verrichtete, reinszenierte sie gemeinsam mit Munby bei ihren Treffen in seiner Wohnung: sie putzte für ihn, wusch seine Füße, säuberte seine Schuhe oder leckte sie ab.

Cullwick beschrieb sich als Sklavin Munbys, sie nannte ihn "massa", beides Bezeichnungen, die auch auf die Realität Englands als Kolonialmacht verweisen. Sie trug ein "slave band" am Handgelenk, das sie niemals ablegte, und am Hals eine Kette, zu der Munby den Schlüssel besaß. Auf den Fotografien werden diese Bänder häufig ins Bild gerückt, vermögen aber die überzeugende Darstellung einer "maid of all work" oder einer bürgerlichen Frau nicht zu stören.

Die Ausstellungsgestaltung von "normal love" greift die "Politik des Fetischs" auf, die Hannah Cullwick betrieb. Ihre Fetische vermittelten zwischen der Sexualität/Vergeschlechtlichung und der Arbeit: bei Muskeln und Schmutz konnte man sowohl an weibliche Männlichkeit wie auch an geleistete Arbeit denken, die Hände konnten für sexuelle Berührung wie auch für Handarbeit stehen. Es handelte sich um Objekte, die in der Lage waren, einen Transfer von Bedeutung vom sexuellen Bereich in den Arbeitsbereich – und umgekehrt – zu leisten, und auf diese Weise deren verschiedene Ökonomien zu verhandeln.

Die Durchquerungen sozialer Positionen, die sie auf den Fotografien inszenierte – die sie nicht Cullwick als Hausangestellte, sondern auch als bürgerliche Frau, als bürgerlichen jungen Mann oder als "Slave" in "blackface" zeigen –, spielten teils auch in ihrem Alltagsleben eine Rolle, wenn sie etwa mit Arthur Munby in "bürgerlichem Drag" verreiste. Die Fotografien können als eine Technologie verstanden werden, diese Durchquerungen zu kontrollieren oder die damit verbundenen großen Anstrengungen und beständigen Überlegungen zu reflektieren.

Das Ausstellungsprojekt "normal love" fragt, ob sich die Durchquerung der sozialen Hierarchien von Klasse, Geschlecht und "Race", die Hannah Cullwick inszenierte und die sie offenbar begehrte, heute im Feld der Arbeit als paradoxe Anforderung verallgemeinert hat.

Pauline Boudry/ Renate Lorenz, "normal work"
16mm/DVD, 13 min., 2007

Der Film "normal work" formuliert die kuratorische These der Ausstellung. Er reinszeniert vier der historischen Fotografien von Hannah Cullwick, auf denen diese Posen einnimmt, mittels derer sie verschiedene gesellschaftliche Positionen von Klasse, "Race" und Geschlecht durchquert.

Im Film sieht man der Performer_in Werner Hirsch bei dem Versuch zu, die Posen Hannah Cullwicks möglichst genau nachzuahmen. Werner Hirsch/ Hannah Cullwick orientiert sich an seiner/ihrer Erinnerung, an einem Spiegel oder einem "Vorbild", das nicht im Bild ist, oder an Anweisungen, die ihm/ihr ebenfalls von außerhalb des Bildraums zugerufen werden. Indem im Film zwei unterschiedliche historische Momente (die viktorianische und die heutige Zeit) und zwei Orte des Sprechens aufeinander treffen, entstehen widersprüchliche Referenzen: Die historischen Fotografien werden mit dem Kontext gegenwärtiger Drag-Performances und Umarbeitungen von Zweigeschlechtlichkeit konfrontiert. Umgekehrt wird den zeitgenössischen Drag-Performances ein historischer Vorläufer beigestellt, in dem das Verhältnis von Sexualität und Arbeit verhandelt wurde. Diese doppelte Kontextualisierung wird durch zwei unterschiedliche "Dekore" unterstützt, die wie in einem Fotostudio als Hintergrund verwendet werden: der eine greift eine Malerei des 19. Jahrhunderts auf, der andere eine zeitgenössische Fotografie von Del LaGrace Volcano (Daddy Boy Dykes), die auch in der Ausstellung zu sehen ist.

Wenn die Performer_in/ Hannah Cullwick von unterschiedlichsten Arbeiten berichtet, die er/sie getan hat oder tun möchte, wird deutlich, dass die Durchquerung der gesellschaftlichen Positionen nicht nur eine ermächtigende Phantasie ist, sondern – insbesondere in der gegenwärtigen Diskussion um Arbeit – einen Aufwand bedeutet, der mit der Drohung verknüpft ist, diese Durchquerung nicht (mehr) leisten zu können. Der kontrollierende Blick wird hier allerdings vervielfältigt; die Performer_in/ Hannah Cullwick blickt zurück in die Kamera und signalisiert damit eine Ebenbürtigkeit gegenüber der Kamerafrau/Betrachter_in; er/sie zeigt an, dass sie diese auch "sieht".

Tracey Moffatt, "Useless 1974", "Job Hunt 1976", "The Wizard of Oz 1956",
"Charme alone 1965"
aus der Serie: "Scarred for Life", Offsetprints, 1994

Tracey Moffatts Prints zeigen jeweils eine Farbfotografie, auf dem ein Kind oder ein_e Jugendliche_r offenbar in einer Momentaufnahme des Alltagslebens festgehalten ist. Ein kleiner, scheinbar erklärender Text in der unteren Bildhälfte produziert zusammen mit dem Bild eine Erzählung: Der Aufforderung, erfolgreich einen Job zu finden, gut auszusehen, nützlich zu sein und bei ihren Tätigkeiten ein eindeutiges Geschlecht zu zeigen, können die Protagonist_innen offensichtlich nicht gut genug nachkommen. Was wir sehen, ist ein Akt der Beschämung, der Abwertung und des Ausschlusses und das, obwohl auf allen Fotografien der Versuch zu erkennen ist, sich in die gesellschaftlich geforderten Plätze einzufinden: der Jugendliche, der für einen Arbeitsplatz nicht "gut genug" ist, trägt Businesskleidung, weißes Hemd und Krawatte, auch wenn diese nicht ganz korrekt hängt. Die Jugendliche, die "useless" genannt wird, hängt nicht etwa auf dem Sofa herum, sondern wäscht den Wagen, möglicherweise den Wagen eben des Vaters, der sie so abwertend adressiert. Der Jugendliche, dessen Aussehen als für sein weiteres Leben nicht eben hilfreich eingeschätzt wird, setzt sich dem kritischen Blick in den Spiegel aus und das Kind, das kritisiert wird, seine Geschlechterrolle nicht zu erfüllen, weil es die Mädchenkleider zu früh angezogen hat, spielt immerhin die Hauptrolle in "The Wizzard of Oz". Die Geschwister, Mütter und Väter, die hier die abwertenden Worte aussprechen, zitieren gesellschaftliche Normen und stehen für all die Sprechakte, Gesetze und Bilder, die Individuen (zwanghaft) in die Gesellschaft einordnen. Sie fordern für eine mögliche Anerkennung einen aufwändigen Prozess des Lernens und Anpassens ein und sprechen die Drohung aus, dass nicht dazu gehört, wer den Anforderungen nicht gerecht wird. Es wird deutlich, wie gesellschaftliche Bedingungen (etwa Arbeitslosigkeit, erzwungene Zweigeschlechtlichkeit oder Weißsein) Individuen mit Anforderungen konfrontieren, die individuell gar nicht gelöst werden können.

Ins A Kromminga "Abject Careers"
Zeichnungen/ Installation, 2007

Die Verschiebung gesellschaftlicher Probleme, Zwänge und Ungleichheiten als Anforderung an Individuen, wird auch in der Installation von Ins A Kromminga aufgegriffen. Wie zwingen Kategorisierungen bei der Jobsuche oder am Arbeitsplatz zu einer individuellen Lösung gesellschaftlicher Widersprüche? Wie lässt sich die geforderte "Wahrheit über sich selbst" aussprechen und zugleich der Alltagswahnsinn einer Zuordnung zu einem von genau zwei Geschlechtern erfüllen: das "richtige" Kästchen ankreuzen, eine Anrede wählen, die richtige Toilette aufsuchen, "offen" gegenüber Kolleg_innen und Chef_innen sein? Die geforderten Kategorisierungen und die scheinbar unumstößliche Macht des Sehens werden in den installierten Zeichnungen allerdings durch die Kombination von Bild und Text ad absurdum geführt. Der nüchterne und einfache Text – etwa "Dies ist sicherlich ein Ausschlusskriterium" – suggeriert, es sei ganz offensichtlich, was man hier vor sich habe, dass und warum es von der Norm abweiche und welche Konsequenzen es erfordere. Das scheinbar naturalistische Bild aber entzieht sich der selbstverständlichen Kopplung von Sehen und Wissen. Die Betrachter_innen werden in die Position versetzt, zu fragen: ‚Was ist das eigentlich?' – zumindest dann, wenn sie sich eingestehen, dass die "Wissensposition" des Textes ihnen nicht weiter hilft.

Karin Michalski/ Sabina Baumann "queering work"
Video, 13 min., 2007

Für das Video "queering work" äußern sich 15 Interviewte zu Fragen nach sexuellen und Geschlechterpraxen im Feld von Arbeit. Dabei wird deutlich, dass einigen sehr viel Arbeit abverlangt wird, die ineinandergreifenden Zumutungen und Zuschreibungen hinsichtlich von Geschlecht, Sexualität und "Weißsein" immer wieder am eigenen Körper auszutragen, sie beständig zu verhandeln oder auch abzuweisen. Es wird thematisiert, wie Arbeitsfähigkeiten direkt mit der erfolgreichen Darstellung von Männlichkeit/ Weiblichkeit und Heterosexualität verbunden sind, bzw. was es heißt, einen "bewohnbaren" Platz im Feld von Arbeit zu produzieren, wenn eine_r den Kriterien von Zweigeschlechtlichkeit, normativer Heterosexualität und Weißsein nicht entspricht.

Das Video vermeidet, die Interviewten zu kategorisieren. Weder handelt es sich offensichtlich um eine "Gruppe", noch steht die Selbstidentifikation der Sprecher_innen im Vordergrund. Sie sind darüber verbunden, dass sie eine gewisse Arbeit in die geschlechtlichen und sexuellen Anforderungen investieren, mit denen sie konfrontiert sind. Verbundenheit entsteht gerade nicht aufgrund gleicher Identifikation oder fehlender Differenzen.

Laura Aguilar "Latina Lesbian #2"
aus der Serie: Latina Lesbian,Fotografie, 1987

Die hier dargestellte Person ist ganz offensichtlich verschiedenen Anrufungen zugleich ausgesetzt. Ihre Kleidung, eine Lederjacke, und ihr Kurzhaarschnitt zeigen sie als maskuline "Butch" und ordnen sie einer Community von Lesben zu; der beigefügte Text adressiert sie sowohl als Tochter einer Migrantin, die Forderungen an ihre Tochter formuliert (eine Gerichtsschreiberin zu werden), wie auch als eine Akademikerin und Anwältin (zu der sie stattdessen wurde, indem sie die Erwartungen ihrer Mutter noch übertraf). Die Lederjacke, die sie erfolgreich als Teil der Lesbenszene zu qualifizieren vermag, entspricht allerdings keineswegs dem gesellschaftlich anerkannten Bild einer Juristin. Während die Fotografie und der beigefügte Text Ende der 80er Jahre als Teil einer Serie entstanden, die, so die Künstlerin Laura Aguilar, die politische Strategie verfolgte, positive Bilder von Latina-Lesben zu produzieren, wird im Kontext von "normal love" betont, mit welchem Aufwand die beständige Durchquerung der Positionen von "Lesbe", "Jurist" (= anerkannter Akademiker) und "Migrantin"/ "Nicht-Weiße" verbunden ist.

Kai Kaljo, "Loser"
Video, 1,24 min., 1997

Statt der Identifikation mit einer anerkannten und erfolgreich verkörperten gesellschaftlichen Position schlägt "A Loser" die Identifikation mit der Figur des Verlierers vor. Auch hier werden unterschiedliche Positionen durchquert: die Hauptfigur des Videos, dargestellt von der Künstlerin selbst, ist "Professor" an einer Kunstakademie, verdient aber zugleich zu wenig Geld, um eine eigene Wohnung zu finanzieren, und wohnt stattdessen bei den Eltern. Sie ist trotz ihrer beruflichen Position sowohl der Bewertung ihres beruflichen Erfolgs (bemessen in Geld/ Einkommen) als auch ihrer erfolgreichen Verkörperung von Weiblichkeit (bemessen in Kilo) ausgesetzt. Mit 90 Kilo eingestandenem Gewicht und 150 Euro angegebenem Einkommen ist sie "Loser" im Beruf wie in der Weiblichkeit. Ihre Aussagen werden von einem profanen soap-opera-Lachen immer wieder unterbrochen, das ihre Verliererposition bekräftigt. Das Lachen macht aber noch mehr: es zieht den dokumentarischen Charakter der Selbstbeschreibung und ihre "Ehrlichkeit" in Zweifel und markiert die Position, von der aus sie als "Loser" (ab)qualifiziert wird: es sind westliche Medien, die hier durch industriell gefertigte Billig-Serien repräsentiert sind. Die selbstironischen Augenaufschläge der Protagonistin lenken die Aufmerksamkeit darauf, dass sie selbst es war, die dieses Lachen – das wie bei Moffatts Bildern Beschämung auslösen könnte – montierte. So eignet sie sich die Bewertung und den Blick an und wirft ihn von den individuellen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse (Sexismus, Arbeitsethos und West-Ost-Gefälle) zurück.

Gillian Wearing, "I'm desperate"
aus der Serie: "Signs that say what you want them to say and not Signs that say what someone else wants you to say", Fotografie, 1992/3

Für diese Serie sprach Gillian Wearing Passanten auf der Straße an und bat sie, Botschaften auf ein großes Blatt Papier zu schreiben. Die in der Ausstellung gezeigte Fotografie präsentiert einen Mann in Businesskleidung, mit Anzug und Krawatte, auf der Straße. Er hält ein Blatt, auf dem steht "I'm desperate" (Ich bin verzweifelt/ oder auch: Ich möchte verzweifelt/unbedingt etwas Bestimmtes tun ...). Während der Anzug Nüchternheit und Effektivität signalisiert, scheint die Aussage sehr intim zu sein, etwas sehr Persönliches zu veröffentlichen. Sie entspricht damit in gewisser Weise der Aufforderung neoliberaler Diskurse an die Individuen, über sich selbst nachzudenken, die Wahrheit über sich selbst zu suchen, das psychische Erleben zum Kriterium der Sinnstiftung zu machen. Das Bild weißer, heterosexueller Männlichkeit, das hier – ebenfalls entsprechend neoliberaler Arbeitsanforderungen – perfekt und erfolgreich verkörpert wird, widerspricht allerdings der Intimität der Aussage und dem Eingeständnis, verzweifelt zu sein (= irgendwo den Erfolg vermissen zu lassen), und weist auf die Widersprüchlichkeit neoliberaler Anforderungen hin. Während die notierte Aussage also einerseits das "Wissen", das wir mit dem Bild eines solchen Geschäftsmannes zu verbinden glauben (er ist erfolgreich und glücklich), in Frage stellt und dieses kulturell sehr wirksame Bild umarbeitet, bringt es uns andererseits dazu, zu fragen: Warum ist er verzweifelt? Ist er arbeitslos? Der Korruption verdächtig? Einsam? Hat er Erfolg im Beruf, aber nicht in der Liebe? Das Bild wirft die Frage auf, wie die bei der Arbeit erforderlichen Fähigkeiten mit anderen Parametern – Emotionalität, Sexualität, Organisation des Alltags, Freundschaft etc. – zusammenhängen.

Deborah Kelly/ Tina Fiveash, Untitled
aus der Serie: "Hey, Hetero!", 2001-2005

Diese Arbeit adressiert Heterosexuelle mit dem Ruf "Hey Hetero!" und erinnert die Angesprochenen an die Privilegien der Heterosexualität. Das Bild greift zum einen die schrille und pompöse Camp-Ästhetik schwuler Subkultur auf und verortet sich damit in einer queeren und offensichtlich attraktiven Szene, zum andern verweisen die gereihten Toaster und das Bügeleisen auf die "Versprechungen" heterosexueller Arbeitsteilung und des kleinfamiliären Konsums. Da die dargestellte Hetero-Drag Performance keineswegs "gut genug" ist, als dass die performenden Subjekte als "hetero" durchgehen würden, steht dieses Bild für zweierlei: nicht nur für die kulturelle Produktion queerer Subkultur, sondern auch für die Wendung des Blicks, die die queere Theorie und Praxis eingeleitet hat: Markiert wird nämlich nicht die homosexuelle "Abweichung" von der Norm, sondern die Norm selbst mit den Zwängen, Ausschlüssen und der Gewalt, die sie produziert. Das Bild greift in der Form des "Posters" oder des "Billboards" – es ist Teil einer Serie, die im Stadtraum von Sidney präsentiert wurde – in die machtvolle Produktion gesellschaftlich wirksamer Bilder durch Werbung und Medien ein und macht die unbefragte Selbstverständlichkeit heterosexueller Normen zum Thema.

Welche Rolle spielt (Hetero-)Sexualität für die Fähigkeit, eine Arbeit "gut" zu machen, oder für die »freiwillige« Übernahme langer Arbeitstage und hierarchisch angeordneter »Plätze«?

Ines Doujak/ Marth
aus der Serie: "Lick Before You Look”, Plakat, 2000

Das Bild von Ines Doujak und Marth stammt aus der Plakatserie "Lick Before You Look”, die per Post an Bekannte und Interessierte verschickt wurde. Es zeigt eine Fotografie, auf der eine Person zu sehen ist, die mit nacktem Oberkörper an einem Küchenherd steht. Das Poster greift frühere feministische Bearbeitungen der Bilder von Hausarbeit auf, wie etwa Martha Roslers Video "Semiotics of the Kitchen" (1975) oder Chantal Akermans Film "Jeanne Dielman, 23 Quai du Commerce, 1080 Bruxelles" (1976). Ähnlich wie bei Roslers Performance ist hier nicht klar, was diese Person überhaupt tut (oder für wen?), ihre Handhaltung referiert mehr auf das Halten einer Waffe (oder vielleicht eines Dildos?) als auf die gewohnten Bilder des Kochens. Das Gesicht mit Oberlippenbart und langem Haar und die nackten Brüste produzieren jedoch zudem eine geschlechtliche Ambiguität. So vermeidet das Bild, jemanden "als Frau" in einer Küche zu verorten, Hausarbeit fraglos mit Heterosexualität zu verkoppeln, aber auch eine Eindeutigkeit im Bild des Lesbischen zu produzieren, was wiederum be/einschränken würde, welche Formen des Begehrens hier adressiert werden sollen. Das Poster thematisiert, dass Sexualität und Geschlecht eine Rolle für die Arbeitsteilung und die Arbeitsfähigkeiten spielen, ohne sich zu einer eindeutigen Aussage hinreißen zu lassen, was über diesen Zusammenhang gedacht werden oder wie er neu entworfen werden sollte.

Runa Islam, "Room Service"
Video Installation, 2 DVDs, 9 und 11 min., 2001

Runa Islams Videoinstallation zeigt zwei "Zimmermädchen", die offensichtlich in einem Hotel arbeiten. Die Szene greift den Arbeitsplatz Hannah Cullwicks auf, die Kleidung mit Schürze und Haube, die Hausarbeit, die Gemeinschaft mit anderen weiblichen Hausangestellten. Die Klassendifferenz gegenüber den Hausangestellten ist durch die Autorität der bürgerlichen Architektur des Hotels sowie durch die den Videos unterlegte Klaviermusik (Eric Satie) immer präsent. Die beiden Protagonistinnen treffen sich konspirativ in einem Hotelzimmer und nehmen den Platz der Gäste ein; sie konsumieren deren Essen, bewohnen den Raum und liegen im Bett. Sie verweigern damit nicht nur die Arbeit, sondern durchqueren die hier klar voneinander unterschiedenen Klassen – die der Gäste und die der Angestellten, die die bürgerliche Position der Gäste im Hotel überhaupt erst herstellen und absichern. Das Video nimmt das "Figurenensemble" der "maids" und "misstresses" auf, das in Bildern der Sexualität (wie der Arbeit) ein immer wiederkehrender Topos ist: Begehren entsteht in dieser Konstellation nicht trotz, sondern gerade aufgrund der klar markierten Differenzen. Indem eine der "maids" in einem Buch zu Luis Bunuels Film "Tagebuch einer Kammerzofe" (Le Journal d'une femme de chambre, 1964) liest, werden die filmischen und literarischen Bearbeitungen aufgerufen, unter anderem auch Jean Genets berühmtes Theaterstück "Die Zofen" (Les Bonnes, 1947), in dem die Zofen in Abwesenheit der bürgerlichen Arbeitgeberin die Machtdifferenzen untereinander ausagieren und auf Rache an ihrer "mistress" sinnen.

Carole Roussopoulos/ Delphine Seyrig "Scum Manifesto"
Video, 28 min., 1976

Auch diese Videoarbeit greift in gewisser Weise die Figuren der "maid" und der "mistress" auf: eine der Protagonistinnen, die Schauspielerin Delphine Seyrig, die gerade im Jahr zuvor als die Hausfrau und Sexarbeiterin Jeanne Dielman in Chantal Akermans gleichnamigem Film auftrat, diktiert hier und nimmt die Position eines Chefs ein, der bestimmt, was geschrieben wird. Die andere, Carole Roussopoulos, tippt beinahe unentwegt und sehr schnell diesen Text auf einer Schreibmaschine und besetzt gekonnt den Platz einer Sekretärin. Das Verhältnis Chef – Sekretärin, das insbesondere in den 70er Jahren als Modell der Arbeitsteilung und als Grundlage unzähliger Witze, Karikaturen und Geschichten über die Verbindung von Arbeit und (Hetero-)Sexualität nicht in Frage gestellt wurde, wird in diesem Video durch zwei Frauen verkörpert (ohne dass der männliche Chef hier "fehlt").

Der Text, der gelesen und getippt wird, ist der von Valerie Solanas "S.C.U.M. Manifesto", das Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer. Es vertritt die Meinung, dass sich Reproduktion, Sexualität und die übrigen sozialen Bereiche sich auch ausgezeichnet ohne Männer organisieren ließen. Das Manifest war 1976, als das Video entstand, in französischer Sprache nicht mehr erhältlich und der Verleger weigerte sich, eine weitere Auflage herauszubringen.

Die Stimme von Seyrig wird durch das industrielle Geräusch der Schreibmaschine unterlegt, der Prozess der Vervielfältigung und Veröffentlichung des Textes wird ausgestellt. Immer wieder unterbricht Roussopoulos ihre Arbeit und stellt den Ton des Fernsehers laut, der im Hintergrund Nachrichten mit Bildern von Kriegen und Demonstrationen überträgt, kulturelle Bilder von Männern, die Kriege führen, und von Frauen, die in einer Friedensdemo engagiert sind.

Arthur Munby
Fotografien und Ausschnitte aus Tagebüchern und Briefen, 1860-1904

Als Hannah Cullwick 21 Jahre alt war, lernte sie Arthur M. Munby kennen, den zu dieser Zeit 26jährigen Rechtsanwalt, der mit seiner Ausbildung und Lohnarbeit haderte. Munby sprach Arbeiterinnen, die sehr schwere, schmutzige und schlecht bezahlte Arbeit leisteten an, um sie fotografieren zu lassen oder ein Interview über ihre Arbeit mit ihnen zu führen. Es waren Hausangestellte, aber auch Frauen, die Milchkannen und andere schwere Lasten trugen, Frauen, die den Müll abholten. Er unternahm Reisen zu Frauen, die in den Minen oder als Fischerinnen arbeiteten. Oder er führte ein Interview mit einer Person, die als Frau geboren wurde und nun als Mann lebte und arbeitete. Es war Munbys Verdienst, Geschichten wie diese sowohl im Kontext von Arbeit und Arbeitsteilung (es war dieser Person nicht möglich "als Frau" ihren Lebensunterhalt zu verdienen) als auch im Kontext seines/ihres Begehrens (er/sie zog die Männerkleider vor) zu diskutieren.

Arthur Munby betrieb eine Art soziologische Studie. Er dokumentierte die Arbeiterinnen und ihre Arbeit ausführlich in seinen Tagebüchern, er fertigte Beschreibungen und Skizzen an. Wenn er sie fotografieren ließ, war es ihm wichtig, dass die Frauen in ihrer Arbeitskleidung, schmutzig, oft auch mit Attributen ihrer Arbeit zu sehen waren.

Besonders ausführlich ging Arthur Munby in den 90 Bänden seiner Tagebücher auf die Attribute von Männlichkeit ein: er beschrieb und zeichnete obsessiv die Muskeln der Arbeiterinnen, ihre groben, roten Hände oder ihre kräftige Gestalt. Seine bewundernden Beschreibungen dokumentierten nicht nur, sondern sie produzierten die Männlichkeit, die ohne seinen Blick, ohne die Benennung, Kategorisierung und Kontextualisierung dessen, was er »sah«, nicht in gleicher Weise existiert hätte. Seine Dokumentation bleibt ambivalent: Während er einerseits versuchte, der Männlichkeit und der harten Arbeit von Frauen Anerkennung zu verschaffen, wandte er sich nicht gegen die Arbeitsteilung, die ihnen diese Arbeit überhaupt aufbürdete. Und er bediente sich der Methoden der Fotografie und der kategorisierenden Einordnung, die als Mittel der Kolonialisierung zu seiner Zeit Karriere machten.

Zugleich fand in seinen Beschreibungen aber auch eine Selbstrepräsentation statt, denn Munby stellte die proletarische Männlichkeit der Frauen gerne seiner eigenen femininen, schwächeren und bürgerlichen Körperlichkeit gegenüber, wie bei einer Fotografie, auf der er neben einer Minenarbeiterin zu sehen war, oder auf einer Zeichnung, auf der er sich selbst neben einer Arbeiterin skizzierte, die größer und kräftiger war als er. Munbys Sammlung lässt sich so als ein Hinweis lesen, wie weitgehend die sozialwissenschaftliche und empirische Arbeit, entgegen der ihr zugeschriebenen Objektivität, in Macht, Begehren und die Bearbeitung von Phantasien unterschiedlichster Herkunft verwickelt ist. Inwieweit stützen sich die jeweils aktivierten Machtkonstellationen und Phantasieszenarien auf rassistische und heteronorme Bildarchive? Wo werden Umarbeitungen möglich, indem verschiedene – widersprüchliche – Bildarchive zugleich aktiviert werden können? Und wie lässt sich der Aufwand oder die "Arbeit" visualisieren, die damit verbunden ist, die angebotenen Bilder und den Platz, den eine_r darin erhalten soll, anzunehmen, zu verändern oder sogar abzuweisen?

Stefan Hayn, "Ein Film über den Arbeiter"
16mm/DVD, 18 min, 1997/98

Der Film greift die Frage nach der Rolle von Dokumentation und der Möglichkeit von Objektivität auf. Er entstand an einer deutschen Filmschule, als für das Fernsehen ein Film mit dem Titel "Der Arbeiter am Ende des 20. Jahrhunderts" gedreht werden sollte. Er beschäftigt sich mit der Unmöglichkeit eines solchen Anliegens und folgerichtig wird der Filmemacher und Dokumentarist selbst zum Protagonisten des Films. Es wird schnell deutlich, dass dieser heillos in das Geschehen verwickelt ist. Weder ist der Blick auf mögliche Gesprächspartner_innen in einem zu erstellenden Dokumentarfilm "neutral": er ist von den Konventionen des Dokumentarfilms ebenso geprägt, wie von den persönlichen Verhältnissen, die im Gespräch entstehen, und von sozialen Markern wie etwa sexueller Identität, die dieses strukturieren. Noch lässt sich das Materielle der Arbeitsbedingungen, die Arbeitszeit, der Lohn, die körperliche Anstrengung bei der Arbeit von den (sexuellen) Wünschen, der Angst, dem Mitleid, oder den unbewussten körperlichen Reaktionen trennen, die das Leben am Arbeitsplatz mit bestimmen. Sexarbeit in einer Schwulenklappe ist nur ein Beispiel dafür, dass die Verhältnisse zwischen Dienstleister_innen und Kund_innen Arbeit, Phantasien und Sexualität zugleich involvieren.

Henrik Olesen, "London Goth, Paris Femmes, Lesbian-Americans"
Collage/Computer Prints auf Pappe, 2006

Ein visuelles Archiv, wie es Munby produzierte, wird in Henrik Olesens Arbeit hergestellt und zugleich reflektiert. Es folgt einem Interesse, nämlich die Heteronormativität in der Geschichte der Visualität anzugreifen. Es verwendet Kategorisierungen wie "Lesbian Communities" oder "Crossdressing" ohne Anspruch auf soziologische oder historische Genauigkeit und ohne Angabe von Kriterien, was eine qualifizieren könnte, hier als Teil einer "lesbischen Community" genannt zu sein. Die Lücken in den verwendeten Materialien, in den gefundenen Fotografien, Dokumenten oder Textfragmenten werden nicht geschlossen, so dass erkennbar bleibt, was überhaupt verfügbar ist – und was nicht. Zugleich produziert das Archiv, ähnlich wie Munbys Sammlung, einen Eingriff in die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts. Es erzählt die Geschichten von erfolgreichen und in ihrer Zeit berühmten Frauen aus den Metropolen London, Paris, Rom und New York; die Geschichten männlicher Frauen, von Frauen, die Frauenbeziehungen hatten oder die sich als Männer kleideten. Es fällt auf, dass es sich – anders als bei Hannah Cullwick – um bürgerliche Frauen handelte, denen es gelang, meist mittels ihrer künstlerischen Produktion eine gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten. Wenn ihnen auch die posthume Berühmtheit vieler männlicher Zeitgenossen verweigert blieb, hinterließen sie doch Dokumente, die ihre Geschichte bis heute nachvollziehbar werden lassen: so erzählt etwa das in unzähligen Reproduktionen vervielfältigte Bild der Malerin Rosa Bonheur, "The Horse Fair", von deren Vorliebe für Western-Ästhetiken, und ein erhaltenes Dokument besagt, dass sie 1852 bei der Polizei schriftlich um Erlaubnis ansuchte, Männerkleidung tragen zu dürfen.

Christian Philipp Müller, "andersrum, the other way around
(times have changed, have they?)"
Fotografie, 1979/2006

Christian Philipp Müllers Set aus Fotografien ist eine neue Arbeit, die sich auf eine alte Arbeit bezieht. Die Fotografien entstanden 1979 bei der Vorbereitung des ersten Readers der Schweizer HACH (Homosexuelle Arbeitsgruppe Schweiz). Veröffentlicht unter dem schweizerdeutschen Titel "anderschume" (andersrum) stellten sie zu dieser Zeit den Versuch dar, positive schwule Darstellungen zu produzieren, ohne Stereotypen zu bedienen. Im Zuge der massiven Polizeirepression gegen die Schweizer Jugendbewegung der frühen 80er Jahre fielen die Fotos bei einer Durchsuchung der Polizei in die Hände. Nach Beschimpfungen und Verhören fiel der Satz: "Leider ist es nicht mehr legal, dass wir (Leute wie) Sie vergasen können."

Die Fotografien sind in einen rosa Holzrahmen gefasst. Es handelt sich um den Farbton des Rosa Winkels, des Zeichens, das männliche Häftlinge in den Konzentrationslagern des NS tragen mussten, wenn sie unter der Anklage der Homosexualität interniert waren. Diese Farbe, die in öffentlichen Bildern und Diskursen mit Schwul-sein assoziiert wird, widerspricht zugleich den im Kunstfeld üblichen, scheinbar "neutralen" Ästhetiken der Rahmung und damit dem handwerklichen Ernst der handvergrößerten Schwarz-Weiß-Abzüge.

In der Anspielung auf die serielle Fotografie der 70er und 80er Jahre verweist die Arbeit darauf, dass die Herstellung von "Sichtbarkeit" dazu neigt, auch Typologien zu produzieren, die wiederum mit gesellschaftlichem Ausschluss beantwortet werden können. Entgegen dieser Typologisierung präsentieren die Fotografien jedoch eine ungewöhnliche Version des Gruppenbildes, insofern die dargestellten Körper weder zum Gruppenbild aufgestellt noch in einen Sexakt verwickelt sind, sehr wohl aber miteinander agieren, während sie gleichzeitig einen Teil ihrer Aufmerksamkeit auf die Betrachter_in richten, ohne dass jedoch das Bild darüber strukturiert wäre. Der Eindruck des Objektiv-Dokumentarischen wird ebenso unterlaufen wie der Eindruck der direkten Kommunikation, die mit der Betrachter_in in Kontakt zu treten sucht bzw. um ihre Anerkennung ringt.

Adrian Piper, "My Calling (Cards) #1 + #2"
Installation, 1986-1990

Adrian Piper hat ihre Calling Cards – beschriftete Pappkärtchen zwischen Visitenkarte und Info-Flyer –, die bei entsprechenden Gelegenheiten verteilt werden können, an anderer Stelle in einem Text kommentiert, der verdeutlicht, was "entsprechende Gelegenheiten" sind. Die erste Karte, die mit einer Selbstidentifizierung als "black" beginnt, ist für Dinnereinladungen und Cocktailparties konzipiert und wird hier zum Teil einer "reaktiven Guerillaperformance" (Piper). Sie funktioniert als eine Intervention in all die Arbeit, die es kostet, sich bei Einladungen damit auseinanderzusetzen, dass häufig rassistische Bemerkungen fallen. Adrian Piper beschreibt acht Möglichkeiten, auf diese Situation zu reagieren – von Schweigen über Bekenntnisse bis zu offenem Streit. Sie alle bedeuten einen großen Aufwand, selbst dann, wenn sie nichts tut und sich dennoch der eigenen Beschämung und den Schuldgefühlen stellen muss, nicht gegen Rassismus einzutreten. Stattdessen überreicht sie der Person, die eine rassistische Bemerkung gemacht hat, die Karte, vermeidet damit den offenen Streit, aber setzt die Betreffende_n selbst einer beschämenden Aktion aus.

Die zweite Calling Card wendet sich gegen ungebetene Flirtversuche in Bars. Es dauert länger, so Piper, bis diese Karte ihre Wirkung entfaltet, da die sexistische Vorstellung, eine Frau "wolle es in Wirklichkeit", egal, was sie sagt oder per Karte mitteilt, sehr hartnäckig ist.

Klub zwei (Simone Bader, Jo Schmeiser)"Love History.
Die andere Seite der Geschichte"
Videoinstallation, 2 DVDs, 26 min., 2007

Diese Arbeit beruht auf der Überlegung, dass die Geschichte des Nationalsozialismus und der Shoah unsere Vorstellungen und Praxen von Liebe, von Beziehungen und von Sexualität bis heute prägen. Die Installation präsentiert Ausschnitte aus zwei Interviews und zeigt dabei sowohl die Nahaufnahme der Person, die befragt wird und deren Auseinandersetzung hier Thema ist, wie auch die Gesprächssituation und den öffentlichen Ort, an dem das Gespräch aufgenommen wurde. "Klub zwei" sprechen mit Frauen, die zur Täterschaft ihrer Väter im Nationalsozialismus recherchiert haben und sich mit den Auswirkungen dieser Täterschaft auf die eigene Person auseinandersetzen. Thematisiert wird, mit welchen Selbsttechnologien die eigene Verwicklung in diese Geschichte bearbeitet wird und werden muss: Welche Bilder von sich selbst und Anderen haben weibliche Nachkommen von Täter_innen und Mitläufer_innen in Liebesbeziehungen und Freundinnenschaften? Wie definieren sie überhaupt "Liebe"? Welche Beziehungsformen befürworten, welche verwerfen sie für sich selbst, für andere? Was sind Wünsche und Phantasien? Welche Rolle spielen Hierarchien und Macht in ihren Beziehungskonstellationen? Welche sexuellen Praktiken üben sie aus, welche nicht? Werden Liebe, Beziehungen und Sexualität als politische (oder politisierbare) Territorien gedacht?

Zoe Leonard, "Blow Me", "I Love Pussy", "Gay + Proud + Dead",
"I Love You", "Lesbians", "Nicole Loves Sue", "The Heart is a Lonely Hunter"
Fotografien, 1994/95

Zoe Leonards Fotografien zeigen jeweils Ausschnitte einer Wand. Es scheinen Toilettenwände zu sein, nur einmal sieht man eine Mauer, nebst der sie umgebenden Landschaft. Ein kleiner schwarzer Rahmen betont den Ausschnittcharakter. Wörter sind auf die Wand geritzt oder geschrieben, dabei sind Schichten entstanden, nur die deutlichsten Wörter, die zufällig oben liegen, sind lesbar. Es ist klar, dass sie ebenfalls verschwinden werden, sobald der Lack weiter abbröckelt oder andere Worte darüber geschrieben werden. Es handelt sich um Namen, Benennungen und Bekenntnisse, die diejenigen, die hier benannt werden, mit lesbischer oder schwuler Sexualität in Verbindung bringen. Dabei finden sich sowohl Selbstbezeichnungen/ Selbstbekenntnisse ("I love Pussy") als auch möglicherweise verletzende oder beschämende Fremdbezeichnungen, bzw. ist es manchmal nicht zu entscheiden, was man vor sich hat ("Lesbians" ergänzt durch das Wort "Dead"). Das sehr kleine Format der Fotografien und die verblassenden Wörter betonen die Beiläufigkeit dieses Geschehens.

Del LaGrace Volcano, "Bad Boys, Chain Reaction”, "Daddy Boy Dykes"
Fotografien, 1987/ 1991

Im Bild der "Bad Boys", aufgenommen im Londoner Club "Chain Reaction", werden nicht nur vier Besucher_innen des Clubs festgehalten. Ein wichtiger Akteur ist der Club selbst, als ein Ort, in dem queere Subkultur, queerer Sex und queere kulturelle Produktion stattfanden. "Chain Reaction war ... politisch, kollektiv, voller heißer Dykes mit der Bereitschaft, ihre Politik aus dem Schafimmer heraus in die Straßen zu tragen. (Del LaGrace Volcano) Es muss, so erzählt das Bild, ein Kontext und ein Ort hergestellt werden, um den hier präsentierten Lebensweisen, Sexualitäten und Geschlechtern eine gesellschaftliche Realität zu verleihen; sie müssen ganz offensichtlich geteilt werden und Betrachter_innen des Bilds sind eingeladen, dies zu tun. Sie können nämlich nichts "wissen" über das, was zu sehen ist, ohne sich selbst zu involvieren, ohne an eigene Praxen anzuschließen. Während zwei der hier im Bild festgehaltenen Besucher_innen des Clubs einfach "da" sind, ohne etwas Bestimmtes zu tun, sind zwei andere im Hintergrund "in Aktion", ohne dass sich ohne weiteres erkennen ließe, was genau sie eigentlich dort machen.

Das zweite Bild, Daddy Boy Dykes, zeigt eine maskuline, schwule Lederästhetik. Einer der Boys präsentiert einen Schwanz oder Dildo, der andere, der mit nackten Oberkörper zu sehen ist, umfasst ihn, ein Lichtfleck akzentuiert dabei eine seiner Brüste. Repräsentiert wird hier weder eine schwule noch eine lesbische Sexualität, sondern ein transgender- oder queeres Begehren: die beteiligten Körper sind nicht vereindeutigt, die Selbstdefinition "Daddy Boy Dykes" verweist eher auf spezifische Phantasieszenarien, als dass sie das involvierte Geschlecht oder Begehren in den Rahmen von Zweigeschlechtlichkeit oder die Alternative Hetero/ Homo einordnen würde. Mit seiner expliziten und attraktiven Darstellung von Sexualität greift das Bild in das heteronormative und zweigeschlechtliche Bildarchiv ein, das unsere sexuellen Bilder und Phantasien alltäglich speist, und arbeitet an einer Neubesetzung dieses Archivs.

Ines Doujak "Dirty Old Women"
Fotoinstallation in Vitrine, 2001

Ines Doujaks Schaukasten präsentiert eine große Anzahl Fotografien, die jeweils eine Gruppe "schmutziger alter Frauen" zeigen: Mal sind sie nackt und haben ihre Arbeitskittel "an den Nagel" gehängt, mal tragen sie ihre Schürzen, mal zeigen sie einander Körperteile unter der Schürze, die wir als Betrachter_in nicht sehen. Die Frauen sind in einem weißen Kubus fotografiert, in den hinein die Betrachter_innen von schräg oben gucken. Der klassische voyeuristische Blick wird jedoch umgangen: Mitnichten wird die Betrachter_in eingeladen, durchs Schlüsselloch zu gucken. Wenn sie guckt, setzt sie sich selber aus. Doch die Frauen scheint es weder zu stören, betrachtet zu werden, noch haben sie die geringste Aufmerksamkeit für die Betrachter_in übrig.

Die Fotografien sind – wie tote Schmetterlinge – in einer Vitrine aufgepiekst. Dies erinnert an die Präsentationsweise eines (natur-)historischen Museums und referiert so auf
(post)koloniale Praktiken der Sichtbarmachung. Den Betrachter_innen wird aber nicht geboten, was diese "Verpackung" zu versprechen scheint: Die Frauen agieren miteinander, sie involvieren dabei ihre Körper und sind offensichtlich aneinander interessiert. Da es sich jedoch nicht um Aktionen handelt, die ohne weiteres - etwa als Sex – decodiert werden können, vermitteln sie nicht "Einblicke" oder "Wissen", sondern stellen eher die Frage, welche Handlungen (und von wem?) wir eigentlich gewohnheitsmäßig als "Sex" klassifizieren.

Oreet Ashery "Self-Portrait as Marcus Fisher I"
Fotografie, zusammen mit Manuel Vason, 2000

Die Fotografie von Oreet Ashery, porträtiert als Marcus Fisher, zeigt eine Person, die als orthodoxer jüdischer Mann erkennbar ist. Aus dem weißen Oberhemd wird eine weiße, runde Brust wie ein eigenartiges Objekt (oder wie ein Dildo, ein nicht-natürliches Körperteil) hervorgeholt. Marcus Fisher guckt auf die Brust, die er in beiden Händen hält. Die Evidenzen geschlechtlicher Markierungen werden hier ad absurdum geführt. Sie werden zwar ausgestellt, aber man traut ihnen nicht über den Weg. Zugleich wird deutlich, dass Geschlecht nicht jenseits weiterer identitärer Markierungen verhandelt werden kann: "Marcus sucht nach seiner maskulinen Identität, irgendwo zwischen der Effeminisierung osteuropäischer orthodoxer Juden und der Ultramaskulinität israelischer Juden." (Oreet Ashery)

Mar-Cus heißt auf Hebräisch "Mr. Cunt". Oreet Ashery beschreibt die Arbeit an der Persona Marcus Fisher – die auf verschiedenen Fotografien, in Videos wie "Marcus Fisher's Wake" und "Dancing with Men", oder vielen Performances in LGBTI-Clubs entwickelt wurde – als eine "queere Rückkehr" zum Jüdischsein. Jüdischsein wird dabei weniger als Religion, denn als Herkunft verstanden, als eine Arbeit an kultureller Identität in der Diaspora in England, oder genauer: in der Londoner Kunstakademie oder in der Londoner Queer Subkultur.

Alexandra Croitoru, "Untitled: Prime Minister, TV Star, Hip Hop Band, Bodybuilder"
Fotografien, 2003/04

Die Fotografien von Alexandra Croitoru knüpfen an eine Master/Slave-Konstellation an. Man sieht die Künstlerin selbst mit verschiedenen Männern, die jeweils groß ins Bild gerückt sind und "wichtig" erscheinen. Tatsächlich handelt es sich – was im westlichen Kunst- oder Politikkontext nicht unbedingt als Wissen verfügbar ist – um den rumänischen Premierminister, um einen wichtigen Fernsehmoderator, eine bekannte Boygroup und einen berühmten Bodybuilder. Die Bilder verweisen nicht nur auf die machtvolle Repräsentation in der Tradition des männlichen Porträts, sondern auch auf materielle Macht, die sich in der Besetzung wichtiger Ämter, dem Treffen politischer und medienpolitischer Entscheidungen, körperlicher Kraft, und nicht zuletzt dem Geldverdienen zeigt. Die Künstlerin selbst porträtiert sich in alltäglicher, nicht übermäßig femininer Kleidung, hinter den Männern stehend, eine Hand jeweils leicht auf ihrer Schulter ruhend. Da sie auf diese Weise in die Position kommt, die Männer zu präsentieren, wird deren machtvolle Darbietung ironisiert und die gesamte Konstellation verschoben: Die Geste des Patriarchen, der seiner Frau oder seinen Kindern die Hand auf die Schulter legt, effeminisiert oder infantilisiert die Machtträger. Unwillkürlich fragt man sich: Wie kam diese Situation, in der das Bild gemacht wurde, zustande?

Ghazel, "Untitled Self-Portrait"
Videoinstallation, 2004

In einem kitschigen goldenen Bilderrahmen auf dunkelroten Grund, der sowohl eine bürgerliche als auch eine Camp-Ästhetik aufruft, werden – statt eines einzigen repräsentativen Porträts – eine Reihe von Porträts per Videomonitor ein- und wieder ausgeblendet. Es handelt sich auch hier um Selbstporträts, die Künstlerin zeigt sich in einem weißen Kleid. Entstanden sind die Bilder im Zuge eines Projektes, in dem Ghazel Heirat als einzig greifbare Möglichkeit thematisierte, um als iranische Staatsangehörige einen französischen Pass und damit eine Aufenthaltsgenehmigung in Frankreich zu erhalten. Während die Porträtierte "als Braut" zu sehen ist, fehlt ein möglicher Ehemann. Auch sonst arbeiten die Bilder die verschiedenen Möglichkeiten von Sichtbarmachung oder Unsichtbarmachung durch. Während Menschen ohne Papiere als "unsichtbar" gelten, weil sie sich verstecken müssen und daher nicht leicht öffentlich auftreten können, werden auf den Bildern verschiedene mediale Weisen der Hyper-Sichtbarmachung durchgespielt. Diese entsteht, wenn eine Person gezeigt wird, die nicht zu sehen sein soll: ein Balken über den Augen, Pixel oder Unschärfen im Gesicht. Ebenso zeigen die hier präsentierten Bilder aber Möglichkeiten, als "unsichtbar" durchzugehen, durch einen Geschlechtswechsel – wie es auch Hannah Cullwick in Erwägung zog –, das Tragen eines Schleiers oder eines Tschadors. Das Durchqueren verschiedener Positionen im Feld von Geschlecht, Religion, Status (Pass) oder Herkunft wird hier in den Kontext der europäischen Grenzregimes gestellt.

Hannah Cullwicks Durchquerungen zeigen, wie sich Liebe, Arbeit, ihre Position als Hausangestellte, ihr Frau-sein, ihre Männlichkeit und die Sexualität miteinander verflechten und wie dies Machtverhältnisse verstärkt, selbst dann, wenn es sie anficht. In jedem Fall muss viel Arbeit geleistet werden – wie es die im Rahmen von "normal love" gezeigten gegenwärtigen Kontextualisierungen/Lesarten der Fotografien von Cullwick je spezifisch zum Thema machen –, um die unterschiedlichen Anforderungen, Zuweisungen, Versprechungen, Zumutungen und Drohungen in Bezug auf Sexualität und Arbeitspositionen miteinander zu verhandeln. Die künstlerischen Aktualisierungen machen aber zugleich deutlich, dass diese Durchquerungen das Feld der Arbeit auch herausfordern können und "normal love" versteht sich als eine Anregung, die hier wirksame "sexuelle Arbeit" in queere Politiken der Sexualität zu übersetzen.